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Standards

Soll eine Technologie von verschiedenen Gruppen mit teilweise sehr unterschiedlichen Interessen eingesetzt werden, so ist eine Vereinbarung über technische Schnittstellen, die Bedeutung von Größen oder das Verhalten in gewissen Situationen unerlässlich. Dieses gilt insbesondere in einer offenen Umgebung, in welcher Teilnehmer Information austauschen, die ansonsten keinen Kontakt zueinander haben. Hier kann die häufig automatisierte Kommunikation nur durch vorherige Festlegung auf einen möglichst verbreiteten Standard mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden. Der Auf- und Abbau von Kommunikationsverbindung, das Abrufen oder Senden von Information, die Reaktion im Fehlerfall usw. müssen vorher vereinbart werden, was aufgrund der Komplexität des Sachgebiets durch Fachleute geschieht, welche die entsprechenden Verfahrensvorschriften ausarbeiten, hinsichtlich ihrer Eigenschaften (wie Leistungsfähigkeit, Fehlertoleranz, Sicherheit usw.) bewerten und dann einer größeren Anzahl von Nutzern zur Verfügung stellen.

Solche Vereinbarungen werden üblicherweise in Standards oder Normen festgelegt. Wegen der international hervorragenden Bedeutung gibt es in der Industrie eine Reihe von Institutionen, die sich mit der Normung technischer Sachverhalte befassen. Da Standards von allen Beteiligten gleichermaßen anerkannt werden sollten, wäre allerdings nur eine einzige internationale Standardisierungsorganisation (zumindest bezüglich eines Fachgebietes) am sinnvollsten.

Die meisten Länder besitzen eine nationale Standardisierungsorganisation, so DIN in Deutschland oder ANSI (American National Standards Institute) in den USA. Um die Ergebnisse der teilweise sehr aufwendigen Arbeiten für die Normung international verfügbar zu machen und Produkte leichter exportieren zu können, wurde 1946 die ISO (International Standards Organization bzw. exakt: International Organization for Standards) ins Leben gerufen, welche als Mitglieder die nationalen Standardisierungsgremien hatte. ISO gliedert sich in ca. 200 technische Komitees (Technical Committees, TC), die spezifische Aufgaben bearbeiten. Dieses geschieht in Unterkomitees (subcommittees, SC), welche meistens Arbeitsgruppen (working groups, WG) einsetzen, in welchen Experten aus den jeweiligen Ländern von Behörden, Unternehmen oder aus der Wissenschaft arbeiten.

Standards werden in einem formalisierten Prozeß erstellt, um die Arbeit wirtschaftlich und schnell zu beenden. Sobald eine neue Norm festgelegt werden soll, wird eine Arbeitsgruppe eingerichtet, welche einen Komitee-Entwurf (Commitee Draft, CD) erstellt. Dieser Entwurf wird an alle Mitglieder gesandt, welche sechs Monate Zeit haben, diesen zu kritisieren. Sobald eine substantielle Mehrheit ihre Zustimmung erteilt, wird ein gegebenenfalls verbesserter Internationaler Standardentwurf (Draft International Standard, DIS) verfaßt, der wiederum eine Zeitlang zur Kritik an die Mitglieder gereicht wird. Erst wenn dieser gegebenenfalls wieder korrigierte Entwurf eine breite Zustimmung findet, wird ein Internationaler Standard (International Standard, IS) vorgelegt. Aufgrund unterschiedlicher ökonomischer und politischer Interessen können Standards teilweise jahrelang auf sich warten lassen. Dieses kann u.U. eine interessante Technologie so stark behindern, daß sie sich nicht in dem erwarteten Rahmen durchsetzt.

Im Bereich der Telekommunikation spielen die nationalen Telephongesellschaften eine große Rolle. Während diese früher meist staatlich kontrolliert waren, werden sie heute vielfach privat betrieben, mit verschiedenen Vorteilen wie der schärferen Konkurrenz und dem verbesserten Service. Die staatlichen Telephongesellschaften wurden als PTTs (Post, Telegraph & Telephone). Zur Standardisierung der (damals ausschließlich üblichen) Telegraphie wurden 1865 eine internationale Organisation gegründet, die heute ITU (International Telecommunication Union) genannt wird. Diese wird heute in drei Bereiche eingeteilt:

  1. Radiokommunikation (ITU-R)
  2. Telekommunikationsstandardisierung (ITU-T)
  3. Entwicklung (ITU-D)

ITU-R ist für die Einteilung und Vergabe von Frequenzbändern für Funkkommunikation zuständig, z.B. im Mobilfunk. ITU-T wurde von 1956 bis 1993 CCITT genannt (frz. Comité Consultatif International Télégraphique et Téléphonique). Die Aufgabe der ITU-T besteht darin, Empfehlungen (recommendation) für die Sprach- und Datenkommunikation auszusprechen; der Begriff Empfehlung deutet bereits darauf hin, daß die nationale Souveränität möglichst nicht berührt werden soll (und kann). Mitglieder der ITU-T sind

  1. Administrative Mitglieder (nationale PTTs),
  2. Anerkannte private Betreiber (wie AT&T usw.),
  3. Regionale Telekommunikationsorganisationen,
  4. Hersteller von Telekommunikationsgeräten und wissenschaftliche Organisationen,
  5. Andere interessierte Organisationen wie Banken oder Flugliniennetze.

Gegenwärtig gibt es ca. 200 administrative Mitglieder, 100 private Betreiber und einige hundert andere Mitglieder. Es dürfen zwar nur die administrativen Mitglieder über Empfehlungen abstimmen, aber allen anderen können mitarbeiten.

Empfehlungen der ITU-T werden häufig zu internationalen Standards, z.B. V.24 für die Belegung von Steckern für asynchrone Terminals. Wegen der großen Zahl an Mitgliedern in der ITU-T wird die Standardisierung in Studiengruppen (study groups) von bis zu 400 Mitgliedern durchgeführt. Um diese Gruppen arbeitsfähig zu halten, werden sie in der Regel in "Working Parties", diese in "Expert Teams", und diese in "Ad-hoc-Gruppen" gegliedert. Gegenwärtig werden ca. 5000 Seiten Empfehlung in jedem Jahr ausgegeben.

Die ITU-T finanziert sich aus ihren (freiwilligen) Mitgliedern. Die Mitgliedsbeiträge reichen von ca. 15.000 $ bis zu 7.5 Mill. $ pro Jahr.

Im Bereiche der Datenkommunikation zwischen Rechnern, wir sprechen hier in der Regel von Rechnernetzen (computer network), ist der Internetstandard von großer Bedeutung, zum einen weil im "Internet", einer weltweit verbundenen Menge von Rechnernetzen, das sogenannte Internetprotokoll (internet protocol; IP) verwendet wird, zum anderen aber auch, weil IP in vielen lokalen Netzen als Vermittlungsprotokoll benutzt wird. Darüber hinaus wird von der "Internet-Community" eine Reihe weiterer Protokolle und Verfahren entwickelt und veröffentlicht, z.B. zum Netzwerkmanagement, die sich ebenfalls durchgesetzt haben, so daß die dort entwickelten Standards ebenfalls wichtig sind. Das Standardisierungsverfahren wird allerdings wesentlich informeller durchgeführt, beruht aber im Prinzip auch auf zwanglosen Übereinstimmungen. Das Internet entstand aus einem Forschungsprojekt der ARPA (Advanced Research Project Agency) in den USA, welches vorwiegend durch das amerikanische Verteidigungsministerium (DoD; Department of Defence) im Jahre 1968 nach einigen vorbereitenden Forschungsprojekten in Auftrag gegeben wurde. Mittels eines informellen Komitees sollte die Kontrolle über das Projekt behalten werden. Dieses Komitee wurde ab 1983 IAB (Internet Activity Board; später: Internet Architecture Board) genannt. Jedes der ca. 10 Mitglieder des IABs leitete eine "Task force", welche sich um ein bestimmtes Thema kümmerte. In der Regel wurden vorgeschlagene Protokolle von Studenten implementiert und ausgetestet, bis man sich für eine Variante entschied.

Kommunikation über Fragen des Internets wird über RFCs (Request for Comments) durchgeführt, welche kostenlos über das Internet bezogen werden können. RFCs werden sequentiell durchnumeriert und nach der Veröffentlichung nicht mehr verändert. Daher gibt es zu einem Thema mehrere RFC-Nummern, wobei die neueren RFCs (mit den höheren Nummern) in der Regel die älteren "obsolete" machen. Gegenwärtig gibt es ca. 2500 RFCs. Da jeder im Prinzip ein RFC verfassen konnte und die Anzahl der Internetnutzer stark gestiegen war, und weil Internetstandards immer mehr kommerziell genutzt wurden, entschloß man sich 1989 dieses System zu verändern. Für Forschungsfragen wurde das IRTF (Internet Research Task Force) zuständig, für kurzfristige technische Fragen wurde das IETF (Internet Engineering Task Force) verantwortlich. Später wurde eine Internetgesellschaft (Internet Society) gegründet, welche die Mitglieder des IRTF und des IETF einsetzt. Zusätzlich wurde ein formellerer Standardisierungsprozeß eingeführt. Damit ein Konzept ein "Proposed Standard" werden kann, muß die grundlegende Idee vollständig beschrieben und für die Internet Community von Interesse sein. Zu einem "Draft Standard" wird etwas, wenn es eine arbeitsfähige Implementierung gibt und dieses an mindestens zwei Standorten für vier Monate erfolgreich getestet wurde. Ist die Idee nach Ansicht des IABs vernünftig und die Software stabil, so kann das IAB dieses zum "Internet Standard" erklären. Da einige Internetstandards vom DoD übernommen wurden, müssen die entsprechenden Normen durch die Hersteller eingehalten werden.